Kleine Zeitung 15.2.2006: piazza telematica
REPORTAGE
Premiere auf der piazza
telematica im globalen Dorf
Erstmals ging die Montagsakademie
der Uni Graz nicht nur per Video aufs Land, sondern in Fleisch und
Blut. Referent Franz Nahrada sagte dem Dorf in Kirchbach eine große
Zukunft angesichts des globalen Wandels voraus.
HELMUT
STEINER Eigentlich untypisch. Es ist zwar eine Premiere, aber
von Nervosität oder gar Hektik ist im KB5 nichts zu spüren. Oder
zumindest lassen sich die Verantwortlichen nichts davon anmerken.
Die Technik rund um Oswald Weiß macht den letzten Check. Referent
Franz Nahrada geht seinen Vortrag durch. Der Vortragsraum fühlt sich
allmählich.
Oswald Weiß sorgte für den reibungsfreien technischen Ablauf der
Übertragung
Erstmals haben die Besucher, die in Kirchbach zur
Montagsakademie der Universität Graz kommen, einen Referenten in
Person vor sich und nicht wie bisher nur auf einer Videowall –
übertragen aus Graz.
Kirchbach – Hörsaal 1
Die
Uhrzeiger nähern sich gegen 19 Uhr. „Geht’s schon“, flüstert
Hansjörg Matzer, der geschäftsführende Gesellschafter des KB5,
Richtung Techniker. „Eine Minute noch“, kommt es mit einem Lächeln
zurück. Der Geräuschpegel ist deutlich gesunken. Ein „Pscht!“ ist zu
hören. Dann ist die Verbindung da. Matzer begrüßt die Hörer an der
Universität Graz und in den zugeschalteten fünf Außenstellen. Aus
dem „Hörsaal 1 der Universität Kirchbach – von der piazza
telematica“. Und die ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Was
Matzer da noch nicht weiß: Auch in zwei weiteren Räumen sitzen
Besucher, die auf den Vortrag „Das dörfliche Erbe Österreichs und
die Zukunft des ländlichen Raumes“ gespannt sind.
Franz
Nahrada startet mit seinem Verständnis von der Rolle des Forschers
und mit Anekdoten aus der Historie Kirchbachs, die für ihn
untermauern, warum die Marktgemeinde ein Paradebeispiel für die
Entwicklung zum globalen Dorf ist. Ein Grund, warum er dort auch
eine Außenstelle seiner Forschungsgesellschaft eingerichtet
hat.
„In das Dorf wurde sehr viel hineinprojiziert:
Hoffnungen, Sehnsüchte, Enttäuschungen“, so Nahrada. Es gibt den
Traum vom Dorf und den Albtraum. Die Glorifizierung durch die
Volkskunde und tiefe Rückständigkeit, die eine Zeit lang die
Agrarsoziologie zeichnete. Nach einem Blick in die Geschichte und
auf das Erbe kommt Nahrada in einer Verlassenschaftsabhandlung zum
Schluss, dass sich die Beschäftigung mit dem Dorf lohnt. „Unter den
Bedingungen des globalen Kulturwandels hat es eine große
Zukunft.“
Eine Geschichte, die da Mut macht – „Der
Steinbacher Weg“ des Dorfes im oberösterreichischen Steyrtal – wird
per Video zugespielt.
Franz Nahrada trugt in Kirchbach die Bausteine für das neue
globale Dorf der Zukunft zusammen (STEINER)
Bausteine einer Wende
Dann stellt Nahrada
die Indizien und Bausteine einer Wende zusammen. Das allein gültige
und selig machende Rezepte ist nicht seine Sache. Es gehe um die
Kombination vieler einzelner Energien. Die reichen für Nahrada von
der Produktionsrevolution, die mit dem absehbaren Ende des Erdöls
kommen werde, über Permakultur und Ökodörfer bis zu neuem Handwerk
mit vernetzten Werkstätten, in denen es Masseninnovation statt
Massenproduktion gibt.
Zentraler Aspekt der Überlegungen:
geteiltes Wissen – open source. Nahrada: „Menschen dokumentieren,
was sie tun, und stellen es allen zur Verfügung. Eine neue Form der
freien Informationsgesellschaft. Wenn das passiert, dann zittern die
Logo-Milliardäre und die Medienbarone.“ Für Nahrada derzeit die
wahren Machthaber. Bestes Beispiel: Das freie Betriebssystem Linux,
das sich als einzige ernst zu nehmende Konkurrenz zu Microsofts
Windows etabliert hat.
Dazu kommen regionales Geld, geistige
Dorferneuerung, ein neues Gesicht der Bildung und eine
Telekommunikation, die sich quasi umdrehen lässt. Die eingangs
erwähnte piazza telematica, mit der sich das gesamte Wissen ins Dorf
holen lässt.
Symbolik
Das Dorf der Zukunft ist
für Nahrada ein dichter Raum von Mensch, Technik und Natur: „Wir
wissen nicht, wie es aussehen wird.“ Dass das dazugehörige Bild aus
technischen Gründen unsichtbar bleibt, verleiht dem Ganzen eine
spezielle Symbolik.
Darum ist auch Hansjörg Matzer am Ende
bemüht: Man habe gezeigt, dass Kirchbach nicht Provinz ist.
Rund 130 Besucher erlebten in Kirchbach Franz Nahrada in Fleisch
und Blut
Die Hörer an der Uni Graz waren per Videoübertragung live dabei
(Heimo Binder)
ZUR PERSON
Franz Nahrada, geboren am 9. Dezember
1954, studierter Soziologe, betreibt in Wien ein Hotel. Als
wissenschaftlicher Leiter der GIVE-Forschungsgesellschaft – Labor
für Globale Dörfer (Wien/Kirchbach), beschäftigte er sich seit 20
Jahren mit dem Thema „globale Dörfer“.
GIVE steht für
Globally Integrated Village Environment.
ZITIERT
Gewinnen neuer Erkenntnisse durch
Einmischung in den praktischen Prozess. Franz Nahrada über die
Rolle des Forschers
Es gibt nicht die eine Heilslehre,
sondern sehr viele einzelne Energien. In der Kombination der Kräfte
liegt die Antwort. Derselbe über die Kräfte, die das Dorf
gewinnen kann
Make villages, not war. Derselbe, zum
Beitrag der Dörfer für eine friedlichere Welt
Je mehr wir
dem Leitbild des globalen Dorfes nachgehen, desto weniger müssen wir
uns global behaupten und desto weniger müssen wir mobil sein. Wobei
ich nichts gegen Mobilität habe. Ich reise selber gerne. Aber das
ist eine freiwillige Mobilität. Derselbe zur Frage, wie man
lokal überhaupt gegen die Globalisierung bestehen
kann
Die wichtigsten Investionen in ein Dorf sind Bildung
und Begegnung. Das ist mit geringen Ressourcen erreichbar, hat aber
große Wirkungen. Derselbe, zur Frage nach den vordringlichen
Aufgaben in den Dörfern
Sie wissen, dass es kostenlos ist
– ich hoffe, es ist nicht umsonst. Hansjörg Matzer, KB5, zur
Bedeutung, die Uni aufs Land zu bringen
Provinz ist ein
geistiger Zustand und ich glaube, dass wir klar kommuniziert haben,
dass Kirchbach nicht Provinz ist. Derselbe zur Premiere in
Kirchbach, mit der die Montagsakademie erstmals von einer
Außenstelle übertragen wurde
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Bestätigung
(KOMMENTAR von HELMUT STEINER) Durch die moderne
Kommunikations- technologie ist es heute egal, wo man sitzt.
Informationen lassen sich überall hin übertragen und man kann sie
sich von jedem Ort der Welt holen. Eine Chance für die Peripherie,
das flache Land, alles, was außerhalb der Zentren liegt, in denen
sich so vieles ballt – mit allen Problemen. In Kirchbach wurden
wesentliche Schritte in dieser Richtung gesetzt. Man hat den Zugang
zur Universität geschaffen, sie über die Montagsakademie ins Dorf
geholt und nun einmal den Spieß umgedreht. Schließlich ist
Telekommunikation keine Einbahnstraße. Sie erlaubt ein Fließen in
beide Richtungen. Der Hauptpart kam diesmal aus dem Dorf. Der
Kirchbach besonders verbundene Referent präsentierte seine Thesen
aus der „Provinz“. Besser hätte man es nicht treffen können. Einen
Vortrag über die Chancen des Dorfes und des ländlichen Raumes im
Zentrum zu halten und von dort in die Außenstellen zu übertragen,
wäre eigentlich absurd gewesen. Das Publikumsinteresse spricht eine
klare Sprache. Deutlich mehr als 100 Besucher kamen ins KB5. Eine
Resonanz, die die Initiatoren, die dort am Werk sind, in ihrer
Arbeit bestätigt.
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